Wer sich intensiver mit Nährstoffbedarfswerten beschäftigt hat, kommt um die Thematik der „Bioverfügbarkeit“ nicht herum. Ob im Bereich der Humanernährung oder beim Tierfutter, immer wieder taucht der Begriff auf. Trotz dieser Tatsache gibt es immer wieder böse Zungen, die behaupten, die Bioverfügbarkeit sei ein Hirngespinst, eine Erfindung der BARF-Szene oder sei vollkommen irrelevant, wenn es um das Thema Bedarfswertdeckung geht. Spätestens, wenn es darum geht, den Bedarf an bestimmten Nährstoffen zu berechnen, wird das Thema im Bereich der artgerechten Ernährung von Hunden leider zu oft ignoriert. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch klar, dass der Begriff nicht nur existiert, sondern von sehr großer Bedeutung ist, wenn es darum geht, welche Bedarfswerte in welchem Fall anzusetzen sind.
Haben die Barfer dieses Wort erfunden?
Dass der Begriff Bioverfügbarkeit keine kreative Wortschöpfung von Barfern ist, belegt bereits ein simpler Blick auf www.duden.de. Dort ist zu entnehmen:
Bio|ver|füg|bar|keit, Substantiv, feminin, Qualitätsmaßstab zur Bewertung von Arzneimitteln, der den Prozentsatz des Arzneistoffs angibt, der nach Aufnahme in den Blutkreislauf in wirksamer Form zur Verfügung steht.
Eigentlich stammt der Begriff offenbar aus dem Bereich der Pharmakologie. Wer sich mit einer Duden- oder Wikipedia-Recherche zufrieden gibt, mag durchaus zu dem Schluss kommen, dass es das Wort vielleicht tatsächlich gibt, es aber offenbar etwas mit Arzneimitteln zu tun hat und daher mit Bedarfswerten oder Nahrungsmitteln rein gar nicht in Verbindung gebracht werden kann.
Hat die Bioverfügbarkeit irgendetwas mit der Ernährung zu tun?
Ein solcher Trugschluss ist jedoch lediglich das Ergebnis oberflächlicher Recherche. Spätestens, wenn man ein paar Fachbücher in die Hand nimmt (und dafür muss man sich leider oft englischsprachiger Literatur widmen), wird sofort deutlich, dass der Begriff viel weiter gefasst werden muss. Wie bei allen wissenschaftlichen Termini, gibt es auch für die Bioverfügbarkeit in Bezug auf die Ernährung eine Reihe von Definitionen.
Eine gut verständliche Definitionsvariante ist die folgende [1]:
Bioverfügbarkeit, E bioavailability, Bezeichnung für das Ausmaß, in dem eine Substanz aus ihrer Lebensmittelmatrix freigesetzt und resorbiert bzw. am Wirkort verfügbar wird. […] Faktoren, die die Bioverfügbarkeit beeinflussen sind die Denaturierung während der Lebensmittelzubereitung und der Verdauung (Freisetzung aus der zellulären Matrix), die Anwesenheit von Stoffen, die um den gleichen Absorptionsweg konkurrieren (Kupfer und Eisen hemmen die Zinkabsorption), Komplexbildner (Phytat bildet mit Eisen Komplexe und hemmt so die Eisenabsorption), sowie Stoffe, die die Komplexbildung hemmen (Vitamin C fördert die Eisenresorption, indem es die Bildung von Eisen-Phytat-Komplexen verhindert).
Demnach hat die Bioverfügbarkeit tatsächlich etwas mit der Ernährung zu tun und beschreibt welcher Anteil eines Nährstoffs dem Körper letztendlich zur Verfügung steht. Manchmal werden in der Literatur auch die Begriffe „Absorption“ oder „Verfügbarkeit“ synonym verwendet. Im Humanernährungsbereich wird in wissenschaftlichen Publikationen stets die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen erwähnt, weil sie entscheidend dafür ist, ob die aufgenommenen Nährstoffe letztendlich auch vom Körper absorbiert werden können. Näheres zu diesem Thema findet man zum Beispiel beim Institute of Medicine of the National Acadamies.[2]
Ist die Bioverfügbarkeit auch für Tiere von Belang?
Nachdem nun geklärt ist, dass der Begriff existiert und auch in Zusammenhang mit der menschlichen Ernährung eine große Rolle spielt, könnte man argumentieren, dass dies jedoch auf Hunde nicht zutreffen würde. Diese Behauptung kann allerdings nur aufstellen, wer die entsprechenden Publikationen ignoriert. Betrachtet man zum Beispiel das Standardwerk des National Research Counsil (NRC) „Nutrient Requirements of Dogs and Cats“, in dem alle heute gültigen Bedarfswerte für Hunde erläutert werden, genügt schon ein Blick ins Stichwortverzeichnis (siehe Foto oben), um eines besseren belehrt zu werden. In jedem Kapitel, zu jedem einzelnen Nährstoff wird auf die Faktoren eingegangen, die die Aufnahme von Nährstoffen behindern oder begünstigen – überall prangt die Überschrift „Absorption“ oder „Absorption and Bioavailability“. Aber dafür ist es notwendig, das gesamte Werk zu lesen und nicht nur die Bedarfswert-Tabellen im Anhang aufzuschlagen und sich mit diesen zu befassen.
So findet sich z. B. auf S. 174 das folgende Zitat für das Beispiel Zink (Übersetzung in der Fußnote)[3]:
The absorption of dietary Zn is largely a function of other substances in the diet that alter its bioavailability. Most animal products […] are free of constituents that interfere with Zn absorption and […] amino acids derived from meat digestion may actually improve the absorption of Zn. Vegetable products are more likely to contain chemicals that interfere with Zn absorption, the most notable of these being phytate.
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die „Klinische Diätetik der Kleintiere“ studiert, auch dort finden sich zahlreiche Anmerkungen, hier unter dem Begriff „Verfügbarkeit“, z. B. auf S. 87:
Ob ein Futtermittel im Hinblick auf die darin enthaltenen Mineralstoffe ausreichend ist, ist nicht immer vorherzusagen, da die Verfügbarkeit der Mineralstoffe von einer Reihe von Faktoren bestimmt wird. […] Warum Mineralstoffe aus Futtermitteln tierischen Produkten in der Regel besser genutzt werden als Mineralstoffe aus pflanzlichen Produkten, wird auch durch den „Fleischfaktor“-Effekt erklärt: Die Resorption des im Fleisch enthaltenen verwertbaren Mineralstoffs, der darauf beruht, dass andere Nährstoffe im Futtermittel verstärkt werden. Außerdem enthält Fleisch im Gegensatz zu Pflanzen keine Faktoren, die die Verwertung der Mineralstoffe entgegenwirken und diese verringern, wie es beispielsweise bei Phytat, Oxalat, Goitrogenen und bestimmten Ballaststoffen der Fall ist.
Weiter auf S. 95 am Beispiel Zink:
Für Kleintierfutter ist ein Zinkmangel vermutlich ein größeres Problem als ein Überschuss, da: (1) Zink in höheren Mengen relativ unbedenklich ist und (2) seine Verwertbarkeit durch eine Reihe anderer Faktoren verringert wird (Phytat, hohe Gehalte an Kalzium […]). Die antagonistische Wirkung des Kalziums ist am größten in Gegenwart von Phytat, was die Bildung hochgradig unlöslicher Komplexe aus Phytat, Kalzium und Zink auslöst.
Selbstverständlich gehen auch die Professoren Meyer und Zentek in “Ernährung des Hundes” auf dieses Thema ein, am Beispiel von Zink auf S. 79:
Die Verwertung von Zink wird durch Phytinsäure, insbesondere in Gegenwart hoher Ca-Mengen, aber auch allein durch einen Ca- und Cu-Überschuss beeinträchtigt.
Oder auf S. 45 am Beispiel von Calcium:
Die Verwertung von Kalzium kann durch Bindung an andere im Futter vorkommende Stoffe (Phytinsäure, Oxalsäure) beeinträchtigt werden. Während die Oxalsäure unter praktischen Verhältnissen keine große Bedeutung besitzt, ist die Hemmung der Ca-Verwertung durch Phytinsäure, die in größeren Mengen in Getreidekörnern und Getreidenachprodukten, aber auch in vielen pflanzlichen Eiweißträgern vorkommt) sehr wohl zu beachten (Bildung von Kalziumphytat).
Offensichtlich spielt die (Bio)verfügbarkeit also auch für unsere Vierbeiner eine große Rolle, denn auch dort gibt sie Auskunft darüber, wie viel eines zugeführten Nährstoffs dem Organismus tatsächlich zur Verfügung steht. Bestimmte Futterkonstellationen beeinflussen die Bioverfügbarkeit. So spielt die Herkunft des Nährstoffes ebenso eine Rolle wie die Anwesenheit s. g. Störstoffe (auch Antinährstoffe, diätische Antagonisten) wie etwa Phytat (vorkommend in Mais, Weizen, Soja etc.) oder Oxalsäure (vorkommend in Rhabarber, Roter Beete etc.).
Was hat die Bioverfügbarkeit mit den Bedarfswerten zu tun?
Die Bioverfügbarkeit existiert also und ist bei sowohl bei der menschlichen als auch hündischen Ernährung von Bedeutung. Wie aber kann die Verfügbarkeit von Nährstoffen mit Bedarfswerten in Verbindung gebracht werden? Ganz einfach: Sie beeinflusst die Höhe der Bedarfswerte. Besitzt ein Nährstoff unter Berücksichtigung der oben genannten Faktoren eine hohe Bioverfügbarkeit, so ist der Bedarfswert geringer als bei einer niedrigen Bioverfügbarkeit. Liegt ein Nährstoff also in einer schlecht verwertbaren Form vor oder wird von anderen Stoffen in seiner Aufnahme gehemmt (z. B. durch Phytat), so erhöht sich der Bedarfswert. Im Bereich der Humanernährung wird das berücksichtigt, wie etwa am Beispiel des Zinkbedarfs ersichtlich (Übersetzung in der Fußnote):
The bioavailability of zinc in vegetarian diets is reduced if phytate content in the diet is high, resulting in low zinc status… Yet, the requirement for dietary zinc may be as much as 50 percent greater for vegetarians.[4]
Ein Mensch, der sehr hohe Phytatgehalte in seiner Nahrung vorfindet, weil er beispielsweise viel Mais, Weizen oder Soja konsumiert, hat einen wesentlich höheren Zink-Bedarf als jemand, der eher fleischlastig isst. Der Unterschied zeigt sich im eklatanten Unterschied beim Bedarfswert für Vegetarier: Er ist doppelt so hoch wie der eine “Fleischessers”! Nun ist es so, dass wir Menschen je nach Präferenz und Verfügbarkeit verschiedene Ernährungskonzepte verfolgen. Die einen sind Veganer, die anderen Vegetarier und wieder andere essen auch oder fast nur Fleisch. Dieser Umstand spiegelt sich dann korrekterweise in den Bedarfswerten wider.
Die Bedarfswerte für Vierbeiner hingegen berücksichtigen nur eine Ernährungsform, nämlich jene, die in Industrieländern heute am weitesten verbreitet ist: Getreidebasiertes Fertigfutter. Über 90 % der Hund werden so ernährt. Sich an denen zu orientieren, ist auch notwendig, denn eigentlich sind diese Bedarfswerte dafür gedacht, ein bedarfsdeckendes Fertigfutter konzipieren zu können. Betrachtet man z. B. wie sich das Futter der Laborhunde zur Ermittlung des Zinkbedarfs zusammengesetzt hat, so wird deutlich, dass Bedarfswerte auf eine bestimmte Art der Zusammensetzung abzielen, die mit artgerechter Ernährung nicht viel zu tun hat.
Laborfutter zur Ermittlung des Zinkbedarfs für Hunde (100 g):[5]
Sojamehl: 40 g
Maiskörner: 35 g
Zucker: 10 g
Schmalz: 10 g
Vitaminmischung: 1 g
Zink: 4 g
Calcium: 0,3–2 g
Augenscheinlich enthalten 75 % der Bestandteile dieses Laborfutters den Stoff Phytat, der die Aufnahme von Zink hemmt. Im Bedarfswert wird dem Rechnung getragen, indem davon ausgegangen wird, dass nur 25 % des aufgenommenen Zinks überhaupt bioverfügbar sind. Das erhöht den Bedarfswert auf das Vierfache.
In einer BARF-Ration befinden sich aber kaum Futtermittel, die solche Störstoffe liefern und zudem stammt das Zink auch noch aus tierischen Zutaten, wird also besser aufgenommen. Weitere Faktoren wie geringere Calciumgehalte bei BARF spielen ebenfalls eine Rolle. Die Bioverfügbarkeit des Zinks ist in einer BARF-Ration daher wesentlich höher als in einem Trockenfutter mit Mais, Weizen und Soja, also muss der Bedarfswert auch geringer sein. Das ist auch der Grund dafür, warum der „offizielle Bedarfswert“ mit natürlichen Futtermitteln nicht erreicht werden kann, sich aber auch nach Jahren kein Zinkmangel beim korrekt gebarften Hund einstellt.
Leider gibt es keine offiziellen Bedarfswerte für gebarfte Tiere, sondern nur die NRC-Bedarfswerte, die für Fertigfutter gelten. Die unterschiedliche Ernährungsbasis zu ignorieren und mit NRC-Werten bei gebarften Hunden zu rechnen, ist methodisch nicht korrekt, denn dabei wird die Bedeutung der Bioverfügbarkeit, die ganz offensichtlich keine Erfindung der Barfer-Szene ist, komplett außer Acht gelassen.
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[1] http://www.spektrum.de/lexikon/ernaehrung/bioverfuegbarkeit/1124
[2] https://www.nal.usda.gov/sites/default/files/fnic_uploads/DRIEssentialGuideNutReq.pdf
[3] Übers. d. Verf.: Die Absorption von Zn in der Nahrung ist weitgehend abhängig vom Vorhandensein anderer Substanzen in der Ernährung, die die Bioverfügbarkeit verändern. Die meisten Tierprodukte [ …] sind frei von Bestandteilen, die die Zn -Absorption beeinflussen und [ …] Aminosäuren, die aus der Fleischverdauung stammen, verbessern die Aufnahme von Zn tatsächlich. Pflanzliche Produkte neigen eher dazu, Stoffe zu enthalten, die die Zn-Absorption beeinflussen, die wichtigste davon ist Phytinsäure.
[4] NRC (2006): Dietary Reference Intakes: The Essential Guide to Nutrient Requirements, S. 344. Übers. d. Verf.: „Die Bioverfügbarkeit von Zink in einer vegetarischen Ernährung verringert sich, wenn der Phytatgehalt in der Nahrung hoch ist, was zu einem niedrigen Zinkstatus führt… Der Zinkbedarf kann für Vegetarier um 50 % höher sein.“
[5] Robertson, B. & Burns, M. (1963): „Zinc metabolism and the zinc-deficiency syndrome in the dog”
Als wär‘s Schicksal, heiße ich ausgerechnet Wolf. Nadine Wolf. Wolf wie BARF. Vierbeiner, vor allem ihre artgerechte Ernährung, sind Job und Leidenschaft zugleich. Ob als Autorin, Bloggerin, Kolumnistin, Dozentin oder auch Tierheilpraktikerin, alles dreht sich bei mir um Hunde und deren Gesundheit. Folge mir, um mehr zu erfahren…
Vielen Dank für diesen aufschlussreichen und interessanten Artikel! 🙂
Das heißt also, dass bei einer hohen Bioverfügbarkeit die Absorption besser funktioniert und bei einer niedrigen BV die Absorption des Nährstoffs schlechter ist. Mir stellt sich jetzt aber die Frage, warum sich dann zwangsweise der Bedarfswert ändern muss? Bleibt er denn nicht der selbe, ich muss eben nur angenommen 50g Fleisch essen anstatt 150g Pflanzen essen, um den Bedarfswert zu erreichen bzw. die gleiche Nährstoff-Absorption zu erreichen?
Vielen Dank schon mal für deine Antwort – ich glaube ich stehe einfach grad auf dem Schlauch 😀
Hallo "Anonym", die Bedarfswerte hat der NRC ermittelt anhand von kommerziell mit Fertigfutter gefütterten Hunden. Diese erhalten eine getreidelastige und somit phytinsäurelastige Fütterung, wie das obige Laborfutterbeispiel sehr schön zeigt. Phytate können Mineralstoffe wie Calcium, Magnesium, Zink und Eisen im Magen- und Darmtrakt unlöslich binden, so dass diese dem Körper nicht mehr zur Verfügung stehen. Solche Hunde haben natürlich einen viel höheren Bedarf an diesen Mineralstoffen als ein Hund, der getreidearm gefüttert wird. Der Bedarfswert muss für einen Fertigfutter-Hund also hoch angesetzt werden; er hat einen höheren Bedarf. Gebarfte Hunde hätten niedrigere Bedarfswert-Vorgaben, wenn es denn solche gäbe, aber die existieren ja nicht.